Auszug aus "Unternehmenskultur als "Schmiermittel" der Kommunikation" (Michaela Scheller) in Zukunftsfähigkeit durch Innovation, Digitalisierung und Technologien, Springer 2021
Unter den Rahmenbedingungen einer zunehmend komplexen Umwelt müssen komplexe Entscheidungen getroffen und entsprechend flexibel gehandelt werden. Die bisherigen, hierarchischen Modelle sind zu schwerfällig, um auf die hohe Dynamik adäquat reagieren zu können. Dies zeigt sich am Beispiel von Nokia. Der finnische Konzern beherrschte den Mobilfunkmarkt noch Ende 2005 mit über 30% Marktanteil (Handelsblatt, 2005). Nachdem der Konzern mit einigen Innovationen gescheitert war, entschied das Management 2006 nur noch auf kurzfristige Gewinne und das Tastentelefon zu setzen. Das Management blieb starr, zeigte sich nicht flexibel und aufgeschlossen für die Bedarfe am Markt und griff auf bis dahin bewährte Handlungsmuster zurück.
Von 2007 bis 2012 stürzte der Marktanteil auf 3,5% ab und die Handysparte wurde 2013 von Microsoft übernommen (die dann auch erfolglos 2014 eingestellt wurde).
Innerhalb der bisherigen, hierarchischen Systeme herrschte „command and control“ (oder auch „predict and control“). Hierbei sind die Personen an der Spitze der Organisation über alles informiert, um auf dieser Basis Entscheidungen treffen und die Ausführung kontrollieren zu können. Mit „einfachen“ und „komplizierten“ Herausforderungen sind diese Systeme stabil und erfolgreich. Durch die oben beschriebene, veränderte Umwelt setzt sich nun mehr und mehr das „sense and response“ Prinzip durch: Das Treffen von Entscheidungen ist über die gesamte Organisation verteilt, wobei man davon ausgeht, dass die Mitarbeitenden sich in ihrem Bereich am besten auskennen und damit auch die besten Entscheidungen treffen können. Die für die komplexen Herausforderungen so wichtigen Ideen können hier entstehen und die Flexibilität gegenüber dem Markt gewährleistet werden. (Unabhängig davon gibt es natürlich weiterhin auch Tätigkeiten, die sich immer wiederholen (hat sich z.B. ein Versandsystem als passend erwiesen, muss es nicht bei jedem neuen Versand auf seine Tauglichkeit hin geprüft werden). Für diese Tätigkeiten Routinen zu entwickeln und sie beizubehalten steht außer Frage.)
„Die neue Arbeitswelt braucht ein neues Verständnis von Führung. Ziel ist es, die Mitarbeiter nicht zu kontrollieren, sondern ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und sie zu befähigen. Mitarbeiter brauchen Unterstützung und Freiräume, um Innovationen zu erkennen, Chancen und Risiken abzuwägen und Entscheidungen eigenständig zu treffen. Nur so können neue Ideen schnell ausprobiert und umgesetzt werden. Auch Fehler bringen uns weiter.“ (Scharner-Wolff 2017).
„Für Unternehmen bedeutet dies, schneller auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können. Oder selber Veränderung durch Innovation voranzutreiben. Dafür müssen sie die Grenzen von Ab-Teilungen auflösen und interdisziplinäre Teams aufstellen. Der soziale Austausch, die sogenannte informelle Kommunikation gewinnt damit an strategischer Bedeutung.“ (Zukunftsinstitut 2018).
Sinnvoll sind also agile, netzwerkartige Organisationen, um kompetent und schnell mit sich wandelnden Herausforderungen umgehen zu können. Wir befinden uns damit in dem größten Transformationsprozess der Arbeitswelt seit der industriellen Revolution.
Dabei handelt es sich um eine Entwicklung, die eine klare, betriebswirtschaftliche Notwendigkeit hat. Dieser Managementwandel ist also eine Reaktion auf die veränderten Märkte und das Umfeld. Die Digitalisierung unterstützt diese Entwicklung, was vor allem in Ausnahmesituationen wie beispielsweise der Corona-Pandemie deutlich wird. Am Beispiel dieser aktuellen Situation zeigt sich, an welchen Stellen die (digitale) Transformation schwierig ist: Behörden, die noch immer stark mit einem „command and control“ Ansatz arbeiten und gleichzeitig einen recht geringen Kundenfokus haben, tun sich schwer damit, flexibel auf die Kontaktsperre zu reagieren (nach 5 Wochen Kontaktsperre stehen nun endlich Laptops für die Angestellten zur Verfügung, damit sie ihre Tätigkeit von zu Hause ausführen können). Ein flexibles Reagieren auf Veränderungen war bisher nicht notwendig und gestaltet sich in dieser Ausnahmesituation schwierig.
Metaplan hat gemeinsam mit Haufe eine qualitative Studie zum Corona-Management von Unternehmen durchgeführt (derzeit noch nicht veröffentlicht). Diese zeigt Folgendes: „Während in nahezu allen Unternehmen die Arbeit dezentralisiert wurde, die MitarbeiterInnen von zuhause aus arbeiten, wurden Entscheidungen zentralisiert. Organisationen agieren gleichzeitig dezentral, von den Rändern aus, und werden zentral geführt.“ (Pause, 2020).
Unabhängig davon, von welchem Unternehmen oder welcher Behörde wir reden: Immer arbeiten Menschen in Organisationen. Der digitale Wandel ist weit mehr als eine technologische Entwicklung. Er verändert Menschen und deren Arbeitsweise selbst in vielerlei Hinsicht durch die veränderten Rahmenbedingungen. „Denn die sehr viel grundlegenderen Veränderungen betreffen die Art und Weise, wie Menschen zusammenarbeiten. Wie sie ihr Wissen teilen und daraus neue Ideen entstehen.“ (Steinle 2018a).