Auszug aus "Unternehmenskultur als "Schmiermittel" der Kommunikation" (Michaela Scheller) in Zukunftsfähigkeit durch Innovation, Digitalisierung und Technologien, Springer 2021
Die Welt um uns herum ändert sich also. Sie wird dynamischer, schneller, unvorhersagbarer. Bewährte Muster funktionieren nach und nach nicht mehr. Die Pyramide hat ausgedient, es leben die Netzwerke. Digitale Tools unterstützen uns in der Entscheidungsfindung und die Zusammenarbeit wird, ebenfalls durch die Digitalisierung, in eine neue Dimension befördert. Doch was bedeutet das für die Menschen in Organisationen?
Kultur der Zusammenarbeit verändert sich
Bereits 2017 führte Capgemini eine globale Studie mit 1.700 Personen aus 340 Unternehmen durch, bei der 72% der in Deutschland befragten Personen die Unternehmenskultur als eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Digitalisierung benannten (international 62%). Während 40% auf Top-Management-Level von einer bereits existierenden digitalen Unternehmenskultur sprechen, sind es bei den restlichen Mitarbeitenden nur 27% (Capgemini 2017).
Brian Solis, Co-Autor der Studie, sagt dazu Folgendes: „Kultur ist entweder das größte Hindernis oder aber der stärkste Beschleuniger digitaler Transformation wie auch Innovation. Viele Manager glauben, dass ihre Unternehmenskultur bereits digital sei. Aber wenn man ihre Mitarbeiter fragt, dann sehen die das völlig anders.“ (Capgemini 2017).
„Viele Unternehmen messen dem Faktor Mensch noch zu wenig Bedeutung bei. Als besonders erfolgreich auf dem Weg zum digitalen Unternehmen erweisen sich Betriebe, die diesen Aspekt ebenso stark berücksichtigen wie die Technologie selbst. Sie passen den Führungsstil an und schaffen eine Vertrauenskultur, die Fehler zulässt und die Mitarbeiter frühzeitig in Veränderungsprozesse einbindet“, erklärt Claudia Crummenerl, Head of Executive Leadership und Change bei Capgemini Consulting (Capgemini 2017).
Das bedeutet, dass sich auch die Kultur der Zusammenarbeit verändern muss, denn die Kultur bestimmt, wie wir Entscheidungen treffen. Die Kultur ist dabei das, was beobachtbar ist und einen Hinweis darauf gibt, was in dem Unternehmen normal zu sein scheint. Sie ist nicht direkt beeinflussbar.
Jahrzehnte lang haben viele Mitarbeitende gelernt, dass es sinnvoll ist, sich „an oben“ zu wenden, wenn es Schwierigkeiten gibt. Von „oben“ gesagt zu bekommen, was nun gemacht werden soll. Entscheidungen „von oben“ abzuwarten. Verantwortung „oben“ zu lassen, wobei ihre entsprechende Verhaltensweise durch das System „belohnt“ wurde.
Nun soll sich das alles ändern. Silos sollen überwunden, Netzwerke aktiviert und Wissen geteilt werden. Entscheidungen sollen in Teams getroffen, Unsicherheiten agil gemanaged werden. „Weniger starre Hierarchien und mehr Verantwortung auf Mitarbeiterebene ermöglichen es, schnell Entscheidungen zu treffen und agil auf Neues zu reagieren.“(Scharner-Wolff 2017).
Viele Unternehmen agieren im Zuge der Digitalisierung schneller am Markt. Die externen Referenzen, also die Erfordernisse des Marktes, müssen in einen internen Referenzrahmen (Prozesse, Methoden, etc.) übersetzt werden. Anders ausgedrückt: Schnelligkeit und Flexibilität, die der Markt nun durch VUCA und die Komplexitätserhöhung fordert, müssen sich intern widerspiegeln. Unternehmen, die sich nicht konsequent am Kunden und am Markt ausrichten, haben auch eine entsprechende Kultur im Innern. Anders herum: Konsequent am Markt orientierte Unternehmen haben eine Kultur im Innern, die geprägt ist von einer Diskussionskultur, die auf Lösungen und Ideen setzt.
Die Digitalisierung hat also einen kulturprägenden Aspekt, indem sie das Äußere mit dem Inneren verbindet.
Die Digitalisierung macht Kunden das Leben einfacher (beispielsweise über Portale, mit denen der Kunde einfach und unkompliziert mit dem Unternehmen interagieren kann). Unternehmen können diese Interaktion jedoch nur sinnvoll nutzen, wenn sie es schaffen, die entsprechende Flexibilität, Geschwindigkeit und Kundenorientierung auch nach innen zu transferieren (und entsprechend nicht nur Tools zur Interaktion anzubieten).
„Sich selbst zu verändern ist fundamental wichtig. Das Wichtigste jedoch ist: Im Zentrum allen unternehmerischen Handelns stehen die Kunden. Ihre Wünsche verändern sich rasend schnell. Wir müssen also gut zuhören und immer bereit sein, Neues zu lernen, Wünsche und Bedürfnisse früh zu erkennen und zu verstehen. Wenn uns das gelingt, sind wir auf dem richtigen Weg.“ (Scharner-Wolff 2017).
Um diesen Wandel auch effizient gestalten zu können, sind vor allem drei Kriterien notwendig:
Im Folgenden werden diese drei Kriterien auf ihre kulturelle Bedeutung für die digitale Transformation hin beleuchtet. Dabei werden immer wieder typische Narrative (organisationale und individuelle) unterschiedlicher „command and control“ Organisationen aufgeführt und es wird gezeigt, wie wichtig es ist, diese in typische „sense and response“ Glaubenssätze zu verändern.
Die richtigen IT Tools
In vielen Unternehmen werden die IT Tools noch immer von der IT Abteilung ausgesucht und entsprechend auf ihre Tauglichkeit für das Unternehmen geprüft. Entsprechende Narrative sind vorhanden und werden mit folgenden Aussagen deutlich.
„Treiber technischer Innovationen ist bei uns die IT-Abteilung / IT-Strategie.“
„Digitalisierung macht bei uns die IT.“
Wenn wir davon ausgehen, dass die Markterfordernisse einen Wandel im Innern der Unternehmen erforderlich machen, müssen auch die Entscheidungen, welches Tool implementiert werden soll, anhand von Kundenbedürfnissen getroffen werden (IT Trends sollten hier erst an zweiter Stelle stehen). Das bedeutet, dass das Business die Anforderungen des Marktes an die IT geben muss. Hierbei steht die Kompetenz der IT außer Frage, wenn es um IT Server und andere IT Kriterien geht. Vielmehr geht es darum, dass die IT die richten Fragen an das Business richtet, um das entsprechend unterstützende Tool identifizieren und implementieren zu können.
Zusammengefasst: Die Auswahl des richtigen Tools ist eine strategische Businessentscheidung. Der IT obliegt die fachgerechte Implementierung und ggf. die Anpassung des neuen Tools an Spezifika des Unternehmens.
Darüber hinaus ist es wichtig, die so „vorsortierten“ und zur Verfügung gestellten Tools sinnvoll einzusetzen. Nicht alle von der IT zur Verfügung gestellten Tools sind auch passend für alle Bereiche und Teams und unterstützen dabei gleichzeitig die Vision von einer attraktiven Zukunft. Bei der Fülle der Möglichkeiten gilt es, eine passgenaue Auswahl auch für die einzelnen Teams zu treffen.
Die Skills, um die Tools anwenden zu können
Die digitale Transformation stellt neue Anforderungen an alle Mitarbeitenden, vor allem wenn es um den Erwerb von Kompetenzen und die Art der Zusammenarbeit geht.
Es geht grundsätzlich darum, sich in der VUCA Welt mit den entsprechenden digitalen Anforderungen zurecht zu finden. Gewohnte Muster funktionieren nicht mehr. Kompetenzen werden entwertet, neue müssen aufgebaut werden, die Halbwertszeit von Wissen verfällt rasant (Blum und Dübner 2012). Wie sieht es in 5 Jahren aus? Vermutlich liegt die Halbwertszeit von Wissen dann bei etwa 1-2 Jahren oder weniger. Die klassischen Entwicklungsprozesse der Personalabteilung sind für diese Halbwertszeit eindeutig zu träge. Beispielsweise ist es bei sich schnell wandelnden Tools wenig sinnvoll, bei jeder Veränderung eine exakte Anpassung auf den entsprechenden Unternehmenskontext zu produzieren. Zur Verdeutlichung eignet sich Office 365 von Microsoft. Microsoft selbst stellt Anleitungen zur Nutzung zur Verfügung, die immer auf dem neuesten Stand sind. Permanente Updates der Software erfordern dies. Würde ein Unternehmen nun die Mitarbeitenden nicht auf die externe Hilfe verweisen sondern bei jeder Änderung eine eigene Anleitung schreiben, erwiese sich diese Vorgehensweise sehr schnell als zu träge. Es muss also etwas anderes her, was es Mitarbeitenden ermöglicht, schnell und gezielt Kompetenzen aufzubauen und anzuwenden.
Doch zunächst: Von welchen Kompetenzen sprechen wir eigentlich im Zuge der Digitalisierung? Ich möchte hier 4 Ebenen unterscheiden: 1. Digital knowledge, 2. Digital fluency, 3. Digital learning und, der Vollständigkeit halber, 4. Digital ethics (in Anlehnung an Zimmermann und Kunze, 2018).
Auf der ersten Ebene (digital knowledge) geht es darum, die zur Verfügung stehenden Werkzeuge kennen zu lernen. Es kann sich z.B. um Tools wie Yammer, Teams, etc. handeln. Man spricht hier auch von explizitem digitalem Wissen, welches in Unternehmen durch Learning Nuggets, Training-Videos etc. vermittelt werden kann.
Auf der zweiten Ebene (digital fluency) steht die Frage im Vordergrund, wie die neu erworbenen Kompetenzen angewendet werden können. Das sogenannte implizite digitale Wissen ermöglicht eine Entscheidungsfindung, welche Herangehensweise situationsadäquat gewählt wird. Auf dieser Stufe wirkt eine Unternehmenskultur unterstützend, die ein Ausprobieren nicht nur toleriert, sondern vielmehr unterstützt. Nur durch Ausprobieren, Scheitern und wieder neu Beginnen kann dieses implizite Wissen erworben werden.
Die dritte Ebene (digital learning) beschäftigt sich mit der Fülle der Informationen, die zur Verfügung stehen. Digital aufbereitet haben sich die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung vervielfacht. Die Kunst ist es nun, sich aus der Fülle der Informationen genau das herauszusuchen, was für jeden Einzelnen (aber auch für die Teams) relevant ist.
Die vierte Ebene (digital ethics) beschäftigt sich, kurz gesagt, mit Folgendem: Nicht alles was geht, sollte auch gemacht werden.
Es scheint wenig zielführend, allen Mitarbeitern Schulungen zu allen IT Tools und zu deren Nutzung zu „verordnen“. Stattdessen sollte es möglich sein, dass Mitarbeiter und Teams Zugang zu den passgenauen Informationen erhalten, die sie benötigen. Dies kann über einen Ansatz sein, der den Austausch von Wissen fördert, über ein internes soziales Netzwerk oder aber auch über zum Abruf zur Verfügung gestellte Informationen zum Ausprobieren und selbst erlernen. Auch Workshops mit kompetenten Ansprechpartnern, die den Teams Fragen beantworten, können helfen. Wichtig ist dabei, eine Kultur des Ausprobierens zu fördern, bei dem auch das Scheitern dazugehört. Die Verantwortung wird zu einem großen Teil an Einzelne bzw. Teams übergeben und das bedeutet auch, dass ggfs. Dinge gelernt werden, die auf den ersten Blick als „nicht nützlich“ erachtet werden.
Ein Spannungsfeld tut sich auf, wenn in Unternehmen sowohl Digital Natives als auch Personen zusammen arbeiten, die bisher nicht viel mit der digitalen Unterstützung anfangen können.
„Wer nicht mitspielt, hat verloren.“
„Die Zukunft gehört den Nerds.“
„Die Alten werden von den Jungen abgehängt.“
Diese Aussagen sind in Unternehmen nicht unüblich. Gemischte Teams stoßen mit der digitalen Transformation auf Herausforderungen, denen sie sich zuvor nicht stellen mussten. Gemeinsames Lernen und die gemeinsame Entscheidung für zu nutzende Tools sind essentiell für die erfolgreiche Zusammenarbeit. Eine Kultur, welche die Diskussion über diese Herangehensweise unterstützt, fördert die Akzeptanz neuer Wege der Zusammenarbeit und verhindert den Verlust von Wissen durch sich abwendende Teammitglieder.
Ein weiterer Aspekt des Lernens und Ausprobierens in der digitalen Ära ist die Haltung der Einzelnen zum Thema Hol- und Bringschuld. In vielen Unternehmen war es bisher üblich, dass die vom Unternehmen gewünschten Kompetenzen auch proaktiv an die Mitarbeitenden herangetragen wurden. Nehmen wir das Beispiel eines mittelgroßen Industriebetriebes: Wurde eine neue Software eingeführt, hat die Schulungsabteilung die entsprechenden Trainings nicht nur zur Verfügung gestellt, sondern auch die Teilnehmer entsprechend auf die Veranstaltungen gebucht. Dieses wurde zentral gesteuert. Es bestand bisher also eine (wahrgenommene) Bringschuld des Unternehmens.
„Wenn die wollen, dass ich mit den neuen Sachen arbeite, müssen die mir erst einmal eine Schulung anbieten.“
So antiquiert dieser Glaubenssatz anmutet: Er ist Realität noch in vielen Unternehmen. Mit der digitalen Transformation soll sich das nun radikal ändern. Es gibt eine Verpflichtung, sich mit den zahlreichen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, die eigenen Arbeitsroutinen kritisch zu hinterfragen und ggf. abzulösen durch ein digitales Substitut. Hierzu gehört das selbständige Beschaffen von Information zum Einsatz der Tools und zu deren konkreter Nutzung. Es handelt sich damit auch um eine erhöhte Verantwortungsübernahme des Einzelnen für sein Tun. „Das Bildungssystem wird sich vor diesem Hintergrund neu erfinden müssen. Lebenslanges Lernen wird zur Pflicht. Damit erscheinen die tradierten Bildungswege nicht mehr zeitgerecht. Anstatt in jungen Jahren einen Abschluss zu machen, werden wir womöglich künftig jedes Lebensjahrzehnt ein Jahr an der Uni oder einem anderen Bildungsträger verbringen. Insbesondere die Erwachsenenbildung wird im Wettbewerb der Nationen größere Bedeutung erlangen. In Singapur startete kürzlich eine Regierungsinitiative, bei der Senioren das Programmieren beigebracht wird.“ (Steinle 2018b).
Das entsprechende Mindset
Nun generieren alle „neuen“ Tools aber erst dann einen wirklichen Mehrwert, wenn möglichst viele, besser alle Mitarbeitenden anfangen, anders zu arbeiten. Das Teilen von Informationen wird wichtiger. Unfertige Arbeiten können von Anderen eingesehen und vielleicht sogar bearbeitet werden. Es ist gewünscht, dass die Kooperationen von Abteilungen verstärkt wird und Wissen und Ideen sollen hierarchiefrei zugänglich sein.
Wenn wir über ein Mindset sprechen, sind damit Narrative, also Glaubenssätze von Einzelnen und Organisationen gemeint. Diese Glaubenssätze bestimmen, wie wir in verschiedenen Situationen handeln. Ein für die digitale Transformation hilfreiches Mindset beschreibt diese Abbildung:
Hier wird deutlich, dass Offenheit, Hinterfragen von Bestehendem und der Kundenfokus wesentliche Aspekte eines förderlichen Mindsets sind. Dies steht teilweise in großem Gegensatz zu der bisherigen Unternehmensrealität, bei der mitunter stark an Bestehendem festgehalten wird.
„Bei uns ist das schon immer so gelaufen.“
„Bei uns ist das nicht möglich.“
„Das geht bei uns nicht.“
Laut Motivationspsychologin Carol Dweck gibt es zwei verschiedene Arten von Mindsets (Dweck 2016):
Diese Einteilung wird als veränderbar angegeben, denn das Mindset ist durch jeden selbst beeinflussbar. Ein Mindset bildet sich vor allem aus Erfahrung heraus und ist dementsprechend durch positive Ereignisse bzw. negative Erkenntnisse geprägt.
Wenn wir davon ausgehen, dass das Mindset eines Jeden selbst beeinflussbar und dieses von Erfahrungen geprägt ist, müssen wir Möglichkeiten schaffen, positive Erfahrungen mit der gewünschten Offenheit und Transparenz, dem Miteinander und dem Wissenstransfer zu machen.
Ein Beispiel ist das folgende: Kommunikation in Microsoft Teams vs. klassische E-Mails. Während die schiere Anzahl an Emails in komplexen Projekten leicht zum Verlust von Informationen führen kann („Warst Du da nicht im Verteiler?“ „Ich komme gar nicht mehr zum Mails machen.“), sind in Microsoft Teams volle Transparenz und übersichtliche Strukturen gegeben. Dennoch ist es für Viele ein weiter Weg sich von der tradierten Form der E-Mail zu verabschieden und sich einer hohen Transparenz zu stellen (und damit auch viel von der eigenen Arbeitsweise preiszugeben). Die Teams müssen die Möglichkeit haben, für sie neue Wege auszuprobieren. Nach einem Kennenlernen von Microsoft Teams mit den entsprechenden Möglichkeiten wird ggfs. die Kommunikation zunächst parallel mit E-Mails laufen. Nach und nach kann das Team nun komplett auf Microsoft Teams umstellen, um sich so auch an die neue Art der Transparenz zu gewöhnen. Idealerweise entscheidet das Team gemeinsam, wie schnell diese Schritte vollzogen werden und setzt diese dann sehr konsequent um.